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dominique manotti und iris konopik präsentieren 'marseille.73'

dominique manotti und iris konopik stellen während der lesung von "marseille.73" bei transfer

Alles begann mit einem Anruf von der Auslandsgesellschaft: Dominique Manotti würde im Rahmen einer vom Deutsch-Französischen Kulturzentrum organisierten Veranstaltungsreihe über Marseille ins Ruhrgebiet kommen – ob wir Ende September 2021 gern eine Lesung mit ihr bei transfer. machen würden? Nach Manottis erstem Besuch bei uns im Jahr 2016 wollten wir nichts lieber als das! Mit einer Autorin wie ihr die monatelange durch Corona bedingte Veranstaltungspause zu beenden war uns eine Freude! Begleitet wurde sie auch diesmal von ihrer Übersetzerin Dr. Iris Konopik, Lektorin beim Argument Verlag, der Manottis Bücher auf Deutsch verlegt. Die beiden hatten sich seit zweieinhalb Jahren nicht mehr getroffen und freuten sich sichtlich über ihr Wiedersehen bei transfer. Den aktuellen Roman, 'Marseille.73', hatten sie noch nie gemeinsam vor Publikum vorgestellt, insofern war es auch für sie eine kleine Premiere – und was für eine! Das Publikum, zum großen Teil frankophil, bekam ein umfassendes und tiefgreifendes Werkstatt-Gespräch zu hören. Der Titel des Romans zeigt Ort und Zeit seiner Handlung an; sein historischer Hintergrund ist die Zeit elf Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens. Manotti ist der Meinung, dass die französische Bevölkerung damals wie heute zu wenig oder nur Einseitiges über den Algerienkrieg weiß und den Rassismus in der Gesellschaft negiert. Das war eine Motivation für sie, dieses Buch zu schreiben: Die rassistische Mordserie in Marseille 1973 sollte als eben solche ins Bewusstsein ihrer Leserschaft gerückt werden. Sie berichtet, dass sich Betroffene von damals nach der Veröffentlichung von 'Marseille.73' bei ihr gemeldet haben, um sich ausdrücklich dafür zu bedanken und sogar einen Film dazu machen wollen.

img_9303.jpgManotti und Konopik wählen sparsam und gezielt Textstellen aus, die Aspekte ihres Werkstatt-Gesprächs illustrieren. Konopik findet, dass Manotti Szenen so schildern kann, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Zum Beispiel, als der 16-jährige Malek ermordet wird, Ausgangspunkt der Ermittlungen von Comissaire Daquin. Manotti gibt sich als Cineastin zu erkennen und möchte mit ihrem Schreibstil ein ähnliches Gefühl wie im Film erzeugen: dass man beim Lesen mittendrin ist. Deswegen schreibt sie im Präsens und vermeidet es, mehr Worte als nötig zu machen. Auch Vergleiche scheut sie, weil sie meint, wer vergleiche habe nicht das passende Wort gefunden, und erzählt augenzwinkernd die Anekdote, wie sie einmal das Buch eines befreundeten Autors zur Seite legen musste, um ihm nach dem x-ten Vergleich nicht die Freundschaft zu kündigen. Der Humor kommt bei aller Schwere des Themas bei der Lesung nicht zu kurz, und Manotti nimmt auch sich selbst nicht zu ernst: als jemand aus dem Publikum einwirft, man müsse doch zwischen Autorin und Erzähler unterscheiden, gibt sie frank und frei zu, dass sie keine literarische Ausbildung habe und diesen Punkt daher nicht nachvollziehen und schon gar nicht erklären könne.

Ein weiterer eindrücklicher Moment – diesmal im positiven, hoffnungsvollen Sinne – ist die Stelle im Roman, an der die migrantischen Arbeiter streiken und demonstrieren. Auch diese Stelle tragen Manotti und Konopik auf Französisch und Deutsch vor und das Publikum lauscht gebannt. Der Historikerin Manotti ist wichtig zu erwähnen, dass sie aufwändig recherchiert, um sich an die historischen Fakten zu halten, so zitiert sie z. B. aus historischen Zeitungsartikeln. Manchmal stößt sie dabei auf Schwierigkeiten, so konnte ihr nicht mal eine Expertin die undurchsichtige Struktur der Marseillaiser Polizei erklären. Auch über die nicht faktenbasierten Teile ihres Schreibprozesses gibt sie Auskunft: z. B. darüber, wie sich ihre Beziehung zu Comissaire Daquin gestaltet, einem unüblichen Seriencharakter, der immer wieder in ihren Romanen auftaucht, aber nicht in chronologischer Reihenfolge.img_9349_artikel_750x500.jpg

Über das alles und mehr sprechen Manotti und Konopik gute zwei Stunden, um anschließend zu signieren, das eine oder andere persönliche Wort zu wechseln und Fotos zu machen. Das Publikum zeigte sich von der Stimmung, vom Inhalt und Niveau der Veranstaltung absolut begeistert, und auch Manotti und Konopik genossen den Abend in vollen Zügen, den sie mit dem transfer.-Team bei einem späten Abendessen in der Buchhandlung ausklingen ließen. Dabei verrieten sie, dass Manotti bereits für ihr nächstes Buch recherchiert – es besteht also die Chance auf ein drittes Mal Manotti + Konopik bei transfer.!